Shanghai war die letzte Station vor meiner Rückkehr nach Deutschland, einerseits wollte ich nach einer Woche Dorfleben unbedingt mal die morderne Seite von China, nicht die vergessene Seite wie das Dorf von meiner Familie, erleben; andererseits ist mir schon wichtig, meinen chinesichen Freundeskreis zu pflegen, wenn ich schon in der Nähe bin. Traurigerweise besteht für mich in meiner Heimatstadt kaum noch nennenswertes Netzwerk: das von mir ausgewählte Lebensmodell ist jenseits des Verständnisses in dem kleinen Dorf.
In Shanghai hatte ich eine sehr intensive und interessante Diskussion mit einem deutschen Freund, der jetzt in Shanghai arbeitet und lebt. Neben seinem Bericht, wie das Expats‘ Leben in Shanghai aussieht, der ohnehin auch sehr spannend und erfrischend ist, hat mich die Diskussion bzgl. kultureller Unterschiede sowie politischer Systeme am meistens inspiriert. Bevor ich wieder in Deutschland lande und mich mit der Tagesroutine beschäftige, möchte ich gerne hier die Gedanken und Beobachtungen von mir und von ihm dokumentieren. In einem Jahr, wenn dieses App bis dahin noch existiert, werde ich nachprüfen, ob sie von der Realität bestätigt oder widersprochen werden.
1) in Sache Digitalisierung: China ist de facto meilenweit fortschrittlicher als Deutschland oder Europa. Das hängt aber auch sehr stark von der wirtschaftspolitik Chinas; nach einer langer Phase „Weltfabrik“ spielt Chinas‘ Industrie immer noch nicht in der selben Liga wie die Länder, die eine vergleichbare GDP Volumen haben (Japan, Deutschland etc.). Nun ist die Wirtschaft rundrum Digitalisierung die einzige Chance für China, auf einer Überholkurve zu springen und mit anderen Ländern auf Augenhöhe zu konkurrieren. Ich hab dabei ein paar sehr interessante Beispiele gehört, das AI-Gerät von Amazon, Alexa, wird in China durch chinesischen Telekommunikationsanbieter grbremst, indem die Bandbreite für Alexa unregelmäßig runtergeschraubt ist. Mich hat es gewundert, dass es technisch schon soweit ist, die Produkte so mit ihrer Herkunft zu identifizieren und gezielt zu steuern. Natürlich bin ich da als digitale Analphabetin viel zu naiv;-) Ähnliches passiert auch bei Facebook/WhatsApp und google, die Sperrung dieser Apps/Website ist in der Presse zwar als „Verteidigung der Nationalwürde/Verstoß gegen regulatorischen Vorgaben in China“ kommuniziert, in der Realität haben die chinesischen Anbieter mit ähnlichen Produkten das größte Interesse dran, dass solche starke Konkurrenten aus dem Markt ausgetrieben sind.
Noch eine nennenswerte Tatsache ist, die Investitionen der Infrastruktur im Zuge der Digitalisierung in China sind ohne Berücksichtigung jeglicher Wirtschaftlichkeitskalkulation. Ich war sehr überrascht, dass man ununterbrochen 4G-Empfang im Zuge mit einem 300km/h Tempo sowie bei meinem Vater in dem kleinsten Dorf hat. Das ist schwer vorstellbar für Deutschland: ich hab die ganze Zeit nicht mal LTE Empfang bei mir im Büro!
2) unterschiedliche Mentalitäten v. a. beim Umgang mit Veränderungen bzw. Planung: da teilen wir die Meinung, Chinesen sind viel offener gegenüber Veränderungen als Deutsche; Deutsche tendieren, alles durchzuplanen, am besten für die nächste Jahrzehnte, da sind Chinesen viel gelassener, da es sich alles eh wieder schnell ändert, why bother then? In China hat man zum Beispiel am meistens nur am aktuellen Arbeitstag konkrete Agenda, wenn überhaupt dann für die nächsten zwei oder drei Tagen. Wenn man gefragt wird: was machst du denn nächste Woche? Hmm, da ist noch nichts geplant, aber wenn die Woche kommt, wissen wir schon. Es kann dann so viel passieren, dass man am Ende der Woche unheimlich viel geschafft hat, irgendwie. Die persönliche Erfahrung von dem Freund ist: man hat in China viel weniger Termine als in Deutschland, aber geschafft wird viel mehr. Natürlich ist es eine krasse Umstellung der Arbeitsweise für deutsche Verhältnisse, die Realität hat aber bestätigt, dass es eine bewiesene Arbeitsweise im digitalen Zeitalter ist. Man spricht zwar in Deutshland auch seit einiger Weile von „agile Organisation, agile Arbeit“, ist der Arbeitsalltag im echten Leben noch jahrelang hinterher.
Natürlich können Deutsche nicht einfach Chinesen werden, sie sollen auch nicht. Denn die chinesiche Arbeitsmentalität ist auch nicht die Allheilmittel, ganz im Gegensatz merkt man im Alltag, dass Chinesen bei all ihrer Flexibilität nicht so viel Wert auf Qualität oder Effizienz achtet. In der letzten Sekunde wird noch irgendwas zusammengebastelt, aber die Qualität der Produkte ist (mindestens aus deutsher Sicht) meistens sehr grob. Wenn man aber die chinesische Geschwindigkeit und Offenheit mit dem deutschen Qualitätsanspruch und der Strukturkompetenz zusammenbringen könnte, wird am Ende ein Traumteam geschafft, das unschlagbare Produkte und Services zaubern kann.
3) Unterschiede der politischen Systeme und deren Vor- und Nachteile
Für Nicht-Chinesen, die einige Erfahrungen mit China haben und einigermaßen vernünftig denken können, stellen sie sehr schnell fest, dass das politische System in China allzu vielfältiger und moderner als man sonst in der deutschsprachigen Presse wahrnimmt: es ist weder der Sozialismus nach Karl Marx noch die Dikatur wie in der Bild Zeitung. Der deutsche Freund nennt dieses System „Technokratie“, ich nenne es „Elitendemokratie“. Beides bedeutet am Ende das gleiche, nämlich führen die ausgesuchten Experten (Eliten) das Land in bedingten demokratischen Rahmenbedingungen, d. h. dem normalen Volk („die idiotischen Meisten“) wird bei der Entscheidungsfindung nicht gleichberechtigt wie die Experten. In meisten Fällen werden in diesem System die optimalen Entscheidungen getroffen, das sieht man auch in China in den letzten 30 Jahren. Die Gefahr besteht aber auch darin, wenn die Experten das Volk nicht mehr vor Auge halten, weil sie so von sich selbst und von ihren eigenen Leistungen überzeugt sind. Dann wird die Gesellschaft sehr shnell wackelig oder sogar im extremen Fall zusammenbrechen. Dieses Selbstbewusstsein als Resultat der Elitendemokratie ist insofern auch gefährlich, dass China eventuell den Anschluss zum Rest der Welt verpassen würde, wenn die Experten bzw. Eliten in China vor eigenen Leistungen blind werden. Am Ende des Tages spielt man auf der Globe miteinander, nicht gegeneinander, denn um nachhaltig erfolgreich und stabil zu sein braucht man (hier gilt auch für ein Land) mehr Allianz als Feinde. Als wir zu dieser Schlussfolgerung kamen, konnte ich nur noch leicht seufzen, denn ich bin mittlerweile der Einschätzung, dass wir beide mit dieser Ansicht (Globalisierung gegen Protektionimus) sogar nur die Minderheit vertreten, man sieht die ganzen Turbulenzen und politische Neurichtungen in verschiedenen Ecken der Welt. Nichtsdestotrotz stirbt die Hoffnung noch nicht, dass die Experten in China ein klares Bild vor Auge haben, denn mindestens ermöglicht ihnen es das politische System in China, anders als in Europa oder USA.
Am Ende meines Gedächnisprotokolls denke ich nur noch an die berühmten Phrasen von Charles Dickens, und vielleicht noch ein Satz dazu: die Hoffnung stirbt nie.
„It was the best of times, it was the worst of times, it was the age of wisdom, it was the age of foolishness, it was the epoch of belief, it was the epoch of incredulity, it was the season of Light, it was the season of Darkness, it was the spring of hope, it was the winter of despair, we had everything before us, we had nothing before us,we were all going direct to Heaven,we were all going direct the other way--in short,the period was so. Far like the present period,that some of its noisiest authorities insisted on its being received, for good or for evil, in the superlative degree of comparison only.“
回乡杂记 之四 (终篇)Eine Diskussion über Alles oder auch Nichts
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